Kerstin

Bleiben

Ich hätte nach Zürich gehen können.

Gelernt habe ich in Wittstock auf dem Bahnhof, dort auch gearbeitet,

13 Jahre lang. Bis 1993 im Dezember. Mein Fachbereich war der Güterverkehr, der brach ein, der Bahnhof wurde abgewickelt.

Im Juni 93 haben wir davon erfahren.

Es gab Jobangebote in Berlin oder Zürich. Weil unsere Abschlüsse nicht mehr anerkannt waren, hätte ich auf Reiseverkehrskauffrau umschulen müssen. Das war mir zu unsicher.

Mein Mann hatte Arbeit, die Kinder waren in der Kita und in der Schule, deshalb habe ich versucht hier in der Region Arbeit zu finden.

Viele meiner früheren Kollegen sind weggegangen. Ich habe sie nie wieder gesehen.

Fünf Jahre lang hatte ich keine richtige Arbeit. Nur ABM, Umschulung. Weil ich nicht so viel zuhause rumsitzen wollte, hab ich viel ehrenamtlich gemacht. Feuerwehr, Jugendarbeit.

1998 habe ich für fünf Monate Arbeit gekriegt. Einen Blumenhandel aufbauen. Kurz vor Weihnachten bekam ich die Kündigung, auf einem abgerissenen Stück Blumeneinwickelpapier. Weil ich krank geworden bin!

Mein Mann hatte damals auch keine Arbeit mehr.

Wir wollten nicht von hier weg gehen.

Meine Brüder, meine Mutter und meine Schwiegereltern leben hier. Meine Großeltern sind hier begraben. Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre nach Zürich zu ziehen.

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, woanders zu leben. Deshalb tun mir diejenigen so leid, die flüchten müssen.