Karen

Flucht
Liebe
Selbstverwirklichung

Im Zug war schon so eine komische Stimmung. Da waren Familien mit vier Kindern, wo man nicht wusste, was wird aus denen. Manche waren betrunken, aus Vorfreude. Sie riefen: „Freiheit!“. Das machte mir Angst als jungem Mädchen.

Vor der tschechischen Grenze standen wir anderthalb Stunden, und wir wussten nicht, geht‘s zurück oder geht‘s weiter.

Die Grenzer gingen durch die Abteile und ließen sich alle Pässe zeigen. Ich holte meinen Ausweis aus der Jacke - mehr hatte ich nicht mit.

Der Grenzer sagte, du bist erst 16. Überleg dir das genau.

Ich war verunsichert und traurig.

Als der Zug dann über die Grenze fuhr, habe ich angefangen zu weinen. Ich dachte an meine Großmutter. Sie war schon alt, und ich hing sehr an ihr. Ich würde sie nie wieder sehen.

Am Prager Bahnhof gab uns das Rote Kreuz Äpfel und Brot und eine Zahnbürste. Ich lief den Menschenmassen hinterher zur Botschaft der BRD. Auf dem Hof drängten sich schon die Menschen, sie waren frustriert und aggressiv und manche sagten, hier ist schon voll, was wollen die noch hier.

Wir Neuen mussten uns registrieren lassen, in einem Raum in der Botschaft. Wir wurden gefragt, ob wir Freunde oder Bekannte im Westen haben. Die Nacht haben wir im Hof geschlafen mein Freund und ich, eng umarmt.

Mein Freund hatte einen genehmigten Ausreiseantrag. Aber er wollte dass ich mitkann. Er hat gesagt, Dresdner Hauptbahnhof, Sechzehnuhrzehn, Bahnsteig fünf. Entweder du bist da oder du bist nicht da.

Ich war da.